Der Förderverein Brandenburger Symphoniker hat sich lange nicht zu der Situation am
Brandenburger Theater geäußert. Gemeinsam mit den Brandenburger Symphonikern möchten wir das nun tun. Äußerungen und Einmischungen in Personalien stehen uns als Förderverein nicht zu. Wir möchten
aber gerne etwas zum Verständnis der Bedeutung und Aufgabe eines/einer ChefdirigentIn im Allgemeinen und im Besonderen für die spezielle Situation in Brandenburg beitragen und zusätzlich die
“Stellungnahme der Brandenburger Symphoniker” veröffentlichen.
Warum das Rad neu erfinden, wenn das schon jemand getan hat. Auf der website der Berliner
Philharmoniker findet sich eine hervorragende Charakterisierung der Aufgaben eines/r ChefdirigentIn, aus der ich zitiere (https://www.berliner-philharmoniker.de/titelgeschichten/20192020/mythos-chefdirigent/)
”...› Der Chefdirigent – oder in letzter Zeit auch zunehmend die Chefdirigentin – ist der »künstlerische Leiter« eines Kollektivs, das an einer höchst diffizilen, nur in individuellen
Versuchsphasen zu erreichenden Herstellung symphonischer Musik zu arbeiten hat. Er probiert, lenkt und koordiniert die Prozesse musikalischer Klangfindung und Sinnstiftung. ”...›
”...› Chefdirigent eines Klangkörpers zu sein heißt: die künstlerische Verantwortung für einen musikalischen Organismus innezuhaben, aber auch dessen Wegstrecke über einen längeren
Zeitraum zu gestalten. Das setzt eine unmittelbare Nähe zu den Künstlern voraus, das Vertrauen der Musiker, um einer komplexen Institution ästhetische Form und Farbe, den Rhythmus und die inhaltliche
Bestimmung zu geben. Musikalisches Können und persönliche Autorität strömen dabei sowohl ins Publikum als auch ins Bewusstsein des Orchesters. So bestimmt der Gestaltungswille des Chefdirigenten
nicht nur das Formen der erklingenden Musikwerke und der Programme, sondern ebenso die Konzeption der Konzerte und Tourneen, der Solisten und Gäste einer Spielzeit. In den Blick des Chefdirigenten
rücken jedoch auch Fragen der Organisation, die er mit dem Orchester und der Intendanz oder Geschäftsführung abklärt. Außerdem wird er menschliche Probleme und Missverständnisse nicht ignorieren,
überhaupt das kreative Wohlbefinden der Musikerinnen und Musiker zu beeinflussen suchen, da es mittelbar auf die Kunstprozesse einwirkt. ”...›
”...› Das Gewicht und die Einflussnahme des Chefdirigenten sind kaum zu überschätzen. Denn er – oder sie – prägt die spezifische Klangsprache, die künstlerische Substanz und Identität
seines/ihres Orchesters. Er hilft, die Ausdruckskraft und Aura eines Orchesters entstehen zu lassen und damit den Grad des Erfolges zu mehren. Er verkörpert sogar, wenn seine geistige Wachheit es
vermag, die Vision von Gegenwart und Zukunft seines Orchesters. Mit seiner persönlichen Übertragungsfähigkeit wird er zur künstlerischen Schlüsselfigur der Kultur einer Stadt oder eines
Landes. ”...›
In der speziellen Situation des Brandenburger Theaters, das leider keine echte eigene
Darstellende Sparte mehr hat, kommt der/dem ChefdirigentIn die besonders verantwortungsvolle Aufgabe der fast alleinigen Prägung der künstlerischen Ausrichtung zu. Dies erfordert eine besondere
Sorgfalt bei der Suche einer geeigneten Person, die diese Fähigkeiten in sich vereint und zusätzlich den speziellen Herausforderungen einer verfahrenen, aber nicht unlösbaren, Situation der Spaltung
und Sprachlosigkeit gewachsen ist. Deswegen sollte mit Bedacht nicht überstürzt eine Person gesucht werden, die den Bedürfnissen der Brandenburger Symphoniker gerecht werden kann.
Häufig hören wir aus Publikum und Belegschaft, dass diese Position vor allem inzwischen
nach all den Querelen nicht mehr attraktiv sei. Dem widersprechen wir:
Auf der einen Seite ist die Qualität des Orchesters auf hohem Niveau, auf der anderen Seite
gibt es sehr gute andere Argumente für den Wirkungsstandort Brandenburger Symphoniker: Die politische Situation des Hauses ist stabil wie nie zuvor in der Geschichte des Brandenburger Theaters seit
der Wende, die Nähe zur Hauptstadt, die Zusammenarbeit mit der Universität der Künste und die internationale Strahlkraft des Komponistenwettbewerbes 'Brandenburger Biennale' sind zusammen mit der
Schönheit von Stadt und Landschaft ein sehr gutes Argument, sich hier einzubringen und niederzulassen.
Andrea-Carola Güntsch
Stellungnahme der Brandenburger
Symphoniker
Mit großer Bestürzung, aber auch mit Ärger haben wir als
gesamtes Orchester durch die Pressemitteilung des Brandenburger Theaters erfahren, dass ein Vertragsabschluss mit Olivier Tardy als Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker nicht erfolgen wird. Die
Brandenburger Symphoniker hatten nach festgelegtem Verfahren ihre Wahl getroffen, um eine hohe künstlerische Qualität für das Publikum zu gewährleisten.
Wir stellen fest, dass die Geschäftsführung bisher nicht
das Gespräch mit dem gesamten Orchester gesucht hat. Entsprechend alarmiert sind wir bei der in der Pressemitteilung des Brandenburger Theaters ausgesprochenen Ankündigung, “die Geschäftsleitung des
Brandenburger Theaters wird nun über ein Eilverfahren die Zeit bis zum Sommer nutzen, um einen den Bedürfnissen des Brandenburger Theaters und der Brandenburger Symphoniker angemessenen und würdigen
Chefdirigenten zu finden.” Es besteht die große Sorge, dass in einem Eilverfahren kein angemessener Chefdirigent gefunden wird.
Den Umgang des Hauses mit Herrn Tardy ebenso wie mit Herrn
Gülke empfanden wir als unwürdig. Seitdem ist die Belegschaft tief gespalten und das Betriebsklima im Theater von Misstrauen und Angst geprägt. Wir halten die Entwicklung der letzten Jahre für den
Kulturstandort Brandenburg in der Innen- und Außenwirkung des Brandenburger Theaters für destruktiv.
Ein Orchester ist ein besonderes Kollektiv, das sehr eng und emotional zusammenarbeiten muss. Für diese Zusammenarbeit
sind Vertrauen und Zuverlässigkeit Voraussetzung. Der Anspruch, ein qualitativ hohes Niveau zu erfüllen und zu halten, begleitet uns in jede Probe und in jede Aufführung. Eine auf Dauer hochwertige
Arbeit des Orchesters kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn dem Chefdirigenten alle dazu nötigen Kompetenzen und die damit verbundene Verantwortung eingeräumt werden, insbesondere hinsichtlich
Planung, Einsatz und Ausrichtung des Orchesters. Da die Symphoniker das einzige professionelle Ensemble innerhalb des Theaters sind, ist der Chefdirigent die Schlüsselfigur für diese
künstlerisch-musikalische Ausrichtung. Ohne langfristig angelegte Gestaltungsfreiheit wird die künstlerische Entwicklung der Symphoniker massiv behindert und ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt. Das
Orchester betreffende künstlerische und organisatorische Entscheidungen, die nicht im Einvernehmen mit dem Chefdirigenten getroffen werden, interpretieren wir als Einschränkung eben jenes
Freitraumes.